5 Fragen an... Priv.-Doz. Mag.Dr. Fanta
1. Sie gelten als Robert Musil Experte, waren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Robert-Musil-Institut in Klagenfurt und haben zur Entstehung und Ende des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ promoviert. Wie würden Sie die Person Robert Musil aus Ihrer Sicht charakterisieren und welche Textpassage aus dem zuvor erwähnten Roman schätzen Sie am meisten und warum?
Ich habe mich von 1985 an ununterbrochen mit Musil beschäftigt, er war Beruf und Berufung zugleich für mich, man kann sagen: die Liebe meines Lebens. Für mich hat sich die Person Robert Musil allerdings in der Schrift, in seinem Schreiben aufgelöst. Die wichtigste Textpassage Musils stammt aus dem "Mann ohne Eigenschaften" (Kapitel 116); sie lautet: »Mit einem Wort, die Schöpfung« dachte er »ist nicht einer Theorie zuliebe entstanden, sondern« und er wollte sagen, aus Gewalt, doch da sprang ein anderes Wort ein, als er erwartet hatte, und sein Gedanke ging so zu Ende: »sondern sie entsteht aus Gewalt und Liebe, und die übliche Verbindung zwischen diesen beiden ist falsch!« - Mit Ulrichs zwei Bäumen der Gewalt und der Liebe ist alles über die Welt und das Leben gesagt.
2. Da Sie sich seit Ende der 1980er Jahre mit der Thematik beschäftigen, kennt kaum jemand den literarischen Nachlass Robert Musils, rund 12.000 Manuskriptseiten und zusätzlich gesammelte Zeitungsausschnitte, wobei grundsätzlich die Entstehungsgeschichte des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ dokumentiert wird und ebenso die unvollendete Romanfortsetzung an der Musil bis zu seinem Tod 1942 arbeitete, so gut wie Sie. Wodurch wurde Ihre Faszination zu einem der wichtigsten Schriftsteller der Moderne geweckt und welche Erkenntnisse zur unvollendeten Romanfortsetzung haben Sie – grob umrissen – im Laufe Ihrer Studien gewonnen?
Wie es oft bei Liebesbegegnungen ist: ich kam durch reinen Zufall zu Musil. Man hat mich als studentischer Mitarbeiter für die Entzifferung des Nachlasses engagiert, andere kamen und gingen, ich aber blieb. Die Haupterkenntnis, die ich aus meinen Nachlassstudien gewonnen habe: Die künstlerische Arbeit, das Schreiben, das Werk - ist immer unvollendet. Die Existenz, in Zeichen verwandelt, löst sich in ihnen auf, sie erlangt dadurch möglicherweise Ewigkeit, wenn wir es verstehen, die Zeichen aufzubewahren. Das für Musil zu leisten, war meine Aufgabe als Musil-Editor.
3. 2020 gründeten Sie den Verein „Lebensgeschichten und Alltagssachen“, mit welchem Sie die Erinnerungen von Menschen an vergangene Zeiten festhalten wollen. Ihren Worten zufolge besteht für Sie die Zeitgeschichte nicht aus den Taten großer Männer, sondern aus den Lebensgeschichten jedes Einzelnen. Welcher Lebensrückblick ist Ihnen speziell in Erinnerung geblieben?
Es sind vor allem Frauen-Biographien, die es wert sind, dokumentiert zu werden. Das hat damit zu tun, dass Männer dazu tendieren, sich und ihre Lebensgeschichte zu heroisieren, Frauen aber mit ihrer größeren Bereitschaft, für andere da zu sein, mit ihrer größeren Ausgesetztheit den Verhältnissen gegenüber, mehr über sich und die anderen sagen können, wenn sie ihr Leben beschreiben. Am aussagekräftigsten von all den Biographien unseres Projekts sind die Erzählungen der (oft ehrenamtlichen) Mitarbeiterinnen der Caritas Kärnten. Bewegend auch die Ergebnisse der Interviews, die Schülerinnen mit ihren Großmüttern geführt haben. Nehmen wir die Geschichte den Herren Haider, Kickl, Orbán, Trump und wie sie heißen, weg und hören wir lieber unseren Großmüttern zu.
4. Ihrer Website ist zu entnehmen, dass Sie schon in jungen Jahren besessen von Geschichten waren und immer selber welche Schreiben wollten, das Leben Sie jedoch stets davon abgehalten hat. Erst mit der Pension im Jahre 2022 ging Ihre 33-jährige „Schreibverhinderung“ zu Ende. Wie schreibt es sich im Unruhestand und welches sind die aktuellen bzw. zukünftigen Projekte?
Das Wort "Unruhestand" ist mir nicht sympathisch. Als Berufstätiger war ich immer unruhig, oft unangenehm und anstrengend für meine Vorgesetzten. Ich bin auch freiwillig vorzeitig in den Ruhestand getreten, um Chefs und Kollegen von mir zu erlösen, und ich habe mir geschworen, nun das ganze akademische Zeug ganz und gar hinter mir zu lassen. Ich habe vor, alles, was mir untergekommen ist, in zwanzig Bücher zu packen. Das klingt vielleicht unrealistisch, aber ich meine es ernst und werde es durchziehen. Mein Programm findet sich unter www.walterfanta.at.
5. Wenn Sie Robert Musil persönlich für drei Fragen an einem Ort Ihrer Wahl treffen könnten: Welche Fragen würden Sie ihm stellen und wo würde das Gespräch stattfinden?
Der Ort wäre die unverwirklichte Stadtbibliothek Josef Winklers in Klagenfurt. Meine drei Fragen? Ob er mit Magdalena Lenzi geschlafen hat? Was der glücklichste Moment seiner Schriftstellerlaufbahn war? Ob er es nicht bedauert, dass seine Eltern ihn als Baby aus seiner Geburtsstadt Klagenfurt für immer fortgetragen haben?