Sagen
Um jede Stadt mit Geschichte ranken sich Sagen und Mythen. So natürlich auch um die Kärntner Landeshauptstadt. Stadtsiegel und Wappentier weisen in Klagenfurt auch auf eine sagenhafte Gestalt hin – den Lindwurm. Weiters sind die Entstehung des Wörthersees und Stift Viktring in der Sagenwelt verankert.
Machen Sie mit uns einen kleinen Ausflug in die Welt der Mythen.
Zur Zeit, als Herzog Karast von der Karnburg herab gebot, deckte die Gegend vom Wörthersee bis zur Drau nur feuchtes Moos, wildes Gesträuch und viel verzweigtes Baumgewirre.
Während an den Bergen hin zahlreiche Herden weideten, betrat nur selten eines Menschen Fuß jenes unheimliche und undurchdringliche Dunkel – denn keiner kehrte wieder, der sich dahin gewagt hatte. Ebenso verschwand manches fette Rind und wurde von den Hirten vergebens gesucht. Niemand hatte den unheimlichen Würger, der Menschen und Tiere vernichtete, je gesehen; denn meist lag schwerer Nebel über der Gegend. Nur manchmal ließ sich dumpfes Knurren oder fürchterliches Geheule vernehmen.
Mutige Knechte
Der Herzog gebot den Tapfersten seiner Scharen, den Sitz des Ungeheuers auszuforschen und es zu erlegen. Doch vergebens! Furcht und Schrecken hatte sich auch der Kühnsten bemächtigt. Nur List konnte das verborgene Ungetüm aus seinem sicheren Schlupfwinkel herauslocken. In kurzer Zeit stand am Rande des Sumpfes ein fester Turm, aus dessen wohlverwahrten Öffnungen man den nahenden Feind weithin beobachten konnte. Ein mutiges Häuflein von Knechten, vom Preise des Sieges angelockt, zog hin zum Kampfe; denn der Herzog hatte verkünden lassen: „Wer es wagt, mit List oder Gewalt, sich des Ungetüms zu bemächtigen, dem sei der Turm und reicher Lohn; das ganze Land von einem Flusse zum andern, so weit jetzt des Untiers gefräßiger Zahn herrscht, sei des Siegers Eigentum; er sei frei, wäre er auch ein Sklave jetzt!”
Drachenkampf
Ein fetter Stier wurde von den Knechten an eine Kette gebunden und an ihr ein Widerhaken befestigt. Das Gebrüll des geängstigten Tieres erfüllte weit umher die Lüfte. Nicht lange und es brauste auf im Sumpfe und himmelan spritzte der Gischt. Wie ein Pfeil schoss ein scheußlicher Wurm hervor, geflügelt und panzerbedeckt. Seine Krallen packten das Tier und sein zähneerfüllter Rachen öffnete sich, um es zu verschlingen. Da fasst den weichen Gaumen das gekrümmte Eisen. In furchtbaren Reifen schlägt das Ungeheuer nun den Schweif, und wütend gräbt es die spitzigen Krallen in des Rindes Bauch. Jetzt springen die Knechte rasch hervor und mit eisernen, spitzbesetzten Keulen gelingt es ihnen, das Untier zu erlegen. Noch einmal krümmte und wand sich der lange Schlangenleib, dann war es vorüber und das Land von der Plage des Lindwurms befreit.
An der Stelle des Drachenkampfes entstand ein friedliches Dörfchen; und wo der Turm gestanden, baute sich der Herzog ein schützendes Schloss. Aus diesem Schloss und dem Dorfe entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte eine Stadt, die jetzige Hauptstadt des Landes, das freundliche Klagenfurt.
J. Rappold, „Sagen aus Kärnten”, Graz 1887
Wenn die Fischer an stillen Sommerabenden auf dem Wörthersee an der Schwarzen Wand vorüberfahren, kann es geschehen, dass sie ein Klingen und Läuten vernehmen, das aus der Tiefe des Sees zu kommen scheint.
Wirklich erzählt eine alte Sage von einer Stadt mit prächtigen Häusern, die vor vielen hundert Jahren da gestanden haben soll, wo heute der Wörthersee liegt. Aber ihre Bewohner waren durch ihren Reichtum übermütig und üppig geworden.
Endlose Fluten
So kam es, dass sie sich einst am Vorabend des Osterfestes zu Tanz und Gelage versammelten. Schon zeigte Glockengeläute die späte Stunde an, doch niemand kümmerte sich darum. Da öffnete sich die Türe des Festsaales und herein schritt ein kleines eisgraues Männchen und blickte verwundert auf die lärmende Gesellschaft. Grollend erhob es seine Stimme: „O, ihr Schwelger, wisst ihr nicht, welche Feier wir morgen begehen? Kehret heim, ehe die Stunde der Buße verrinnt und die Strafe euch erreicht!” Aber nur höhnisches Lachen antwortete ihm, und nur noch wilder wirbelten die Paare im Tanz.
Wenige Minuten vor Mitternacht betrat der Alte zum zweiten Mal den Saal, aus dem das wüste Geschrei der Trunkenen tönte. In seinem Arm hielt er ein Fäßchen. Noch einmal mahnte er zu Umkehr und Buße: „Sonst öffne ich den Hahn des Fässchens, und Tod und Verderben kommt über euch!”. Wieder antwortet ihm nur rohes Gelächter. Da schlägt es Mitternacht, alle Lichter erlöschen, die Mauern erzittern, Regen stürzt hernieder und ein furchtbares Gewitter bricht los.
Mit offenem Hahn liegt das Fässchen des verschwundenen Warners, endlose Fluten entströmen ihm. Sie dringen in alle Räume und strömen fort, bis sie die ganze Stadt und die ganze Gegend überschwemmt und ihre frevelnden Bewohner ertränkt haben. So entstand der Wörthersee. Städte, Kirchen und Dörfer liegen in seiner unergründlichen Tiefe begraben, riesige Fische und Wasserschlangen hausen in den alten Palästen.
Franz Pehr, „Kärntner Sagen”, Klagenfurt 1913
Direkt am Benediktinerplatz, auf dem Klagenfurter Wochenmarkt steht der „Steinerne Fischer” als Wahrzeichen des Fischmarktes, der sich einst hier befand. Die Statue trägt die Jahreszahl 1606 und die Inschrift:
So lang wil ich da bleibn sthan
pis mier meine Füsch und Khrebs abgan.
Der Sage nach kam einmal ein Fischer vom Wörthersee zum Markte. Eine sparsame Frau zweifelte an der Richtigkeit seiner Waage, aber der Fischer schwor: „Zu Stein soll ich werden, wenn ich falsch gewogen habe!”
Und es erfüllte sich das frevlerische Wort auf der Stelle. Vor den Augen der Marktleute wurde der Fischer zu Stein und harrt noch heute der Erlösung.
In früherer Zeit war es Brauch, dass der Wächter auf dem Turm der Stadtpfarrkirche in Klagenfurt stündlich durch einen kräftigen Hornruf nach allen Himmelsrichtungen die Stunde verkündete. Die Mitternachtsstunde durfte er aber nur nach Westen, Norden und Osten blasen, niemals nach Süden; denn dort lag vor der Stadt der Friedhof von St. Ruprecht, und sein Ruf hätte die Toten aus der Grabesruhe wecken können.
Einst versah das Türmeramt ein arger Trunkenbold, der öfter einen Blick ins Glas als einen Ruf vom Turm tat. Als er eines Abends, nicht mehr ganz fest auf den Beinen, mürrisch ins Wirtshaus an den Stammtisch kam, wo die tägliche Zecherrunde schon versammelt war, fanden seine Saufkumpanen ihren Spaß daran, ihn wegen seines späten Erscheinens zu necken. Einer hänselte ihn mit seinem Türmerruf, und ein anderer spottete über seinen Sohn, der für den Vater die Stunden blies. Sein Hornruf klinge so kläglich, sagte er, als wolle er die Toten aufwecken.
Mitternachtsruf
Über den Spott der Zechbrüder wurde der Türmer so wütend, dass er zornig aufsprang. „Ich werde euch die Toten schon wecken”, schrie er zornig, sprang bei der Tür hinaus und rannte auf seinen Turm zu. Es war gerade die Zeit, den Mitternachtsruf erklingen zu lassen. Er griff also rasch nach dem Horn und blies mit gewaltigen Stößen zuerst nach Westen, Norden und Osten und dann auch – nach Süden.
Zu Tode erschrocken, stürzte des Türmers Ehefrau herbei und wollte das Horn den Händen des rasenden Bläsers entwinden. Doch vergeblich! Er blies nur noch stärker gegen Süden hin, dass es wie Posaunenton über die Dächer und Felder klang bis an die Pforten des Friedhofs.
Nächtlicher Spuk
Da begann ein unheimliches Leben und Treiben auf der Stätte des Friedens. Die Gräber öffneten sich, grausige Gestalten schwangen sich aus der Tiefe empor. Lautlos bewegte sich der gespenstische Zug im fahlen Lichte des Mondes zum Turm zu, woher der Weckruf erklang.
Da sah der Türmer den nächtlichen Spuk heranziehen: grinsende Totengesichter, knöcherne Hände, bleiches Totengebein; eine Heerschar schauriger Gestalten schritt stumm die steilen Stufen des Turmes empor. Schreckensbleich sank der vermessene Türmer in die Knie und streckte abwehrend die Hände aus. Aber es war zu spät, schon langte der Vorderste mit seinen Knochenfingern durch die Stäbe des Turmgitters nach dem bebenden Mann – da erdröhnte vom Turm der Glockenschlag eins, und im Nu war der nächtliche Spuk in alle Winde zerstoben.
Seit dieser Zeit wagte es kein Türmer in Klagenfurt mehr, sein Horn gegen Süden zu blasen und die Toten damit aus dem ewigen Schlaf zu wecken.
„Die schönsten Sagen aus Österreich”, o. A., o. J., Seite 141
Graf Bernhard aus dem Geschlechte derer von Spanheim, die im Jahre 1122 Herzöge von Kärnten geworden waren, und seine Gemahlin hatten einen einzigen Sohn, der Bruno hieß und in seiner schönsten Jugendblüte der Welt entsagte, um Mönch im Kloster St. Paul zu werden.
Auch ihr Neffe Heinrich, den sie dann als Sohn und Erben ihrer großen Besitzungen aufnahmen, neigte mehr den geistigen als den irdischen Dingen zu. Zunächst wollte er an der Hochschule von Paris studieren. Er wurde am französischen Hofe, an dem damals Ludwig VI. herrschte, freundlich aufgenommen.
Konstanze, das schöne Königstöchterlein, hatte es ihm angetan. Und auch sie fand Gefallen an ihm, so dass sie ihn beim festlichen Turnier zu ihrem Ritter erwählte.
Neid und Hochmut befielen nun die anderen Ritter, die sehen mussten, dass ihre Prinzessin den fremden Deutschen begünstigte, der sich so fein und sittsam benahm. Als er aber in die Schranken gerufen wurde, da zeigte er im Kampfe mit einem wilden Normannen solche Kraft und Geschicklichkeit, dass er den ersten Preis gewann, eine goldene Kette mit dem von Edelsteinen umrahmten Bildnis des Königs.
Nach dem Turnier trafen sich die Gäste im königlichen Schloß zu Tanz und Bankett. Sie ließen sich in ihrer Festesfreude nur wenig stören, als in einigen kleinen Häusern der Umgebung ein Feuer ausbrach.
Nur Heinrich hörte das Schreien und Jammern der unglücklichen Menschen und eilte sofort, um zu helfen. Sicher und klug hatte er bald das Feuer abgewehrt. Nachdem er auch noch sein ganzes Geld verteilt hatte, wollte er zurück zum Fest. Da hörte er noch ein Wimmern aus den Tiefen eines Gewölbes: es kam von einer Mutter mit drei kleinen Kindern. Er rettete auch diese noch aus Qualm und Rauch. Sie hatten nichts mehr als das nackte Leben. Und ihm war nichts mehr geblieben, womit er helfen konnte, als die goldene Kette. Er schenkte sie der Mutter und eilte dann zurück zum Schloß.
Kampf mit dem Löwen
Als Heinrich im Park die Prinzessin traf, bedrückte es ihn schwer, dass er den kostbaren Turnierpreis verschenkt hatte. Er fiel vor ihr auf die Knie und gestand, was er aus Mitleid verbrochen. Konstanze verzieh ihm, nahm ihre eigene Kette mit einem Kreuz aus Perlen und Diamanten und hing sie dem Ritter um.
Diese Szene aber hatten seine Neider beobachtet und sofort eilten sie zum König und berichteten, dass die Königstochter dem Grafen von Spanheim heimlich ihre Liebe geschenkt habe. Darüber war der König so erzürnt, dass er den Grafen zu einem waffenlosen Kampf mit einem Löwen verurteilte. Unterliege der Spanheimer, so habe er damit seine Schuld gebüßt; gehe er als Sieger aus dem Kampfe hervor, so sei seine Unschuld erwiesen.
Zisterzienserorden
Unverzagt nahm Heinrich das Urteil auf sich. Ruhig und in der festlichen Kleidung eines Ordensritters, mit Konstanzes Kreuz auf der Brust, ging er zum Kampf. Als sich der schreckliche Löwe, brüllend auf ihn stürzte, drückte Heinrich das Kreuz an die Lippen, griff nach den furchtbaren Pranken des Löwen und warf ihn zu Boden. Erschreckt kroch der Löwe zu seinen Füßen und folgte ihm winselnd. Ein Triumphzug geleitete den Glücklichen in den Königssaal. Der König und die Königin wollten ihm nun ihre Tochter zur Frau geben, aber Heinrich von Spanheim fühlte plötzlich wieder die Macht des Himmels über sich und gelobte sich für immer der Himmelskönigin an. Am nächsten Tage schon trug er die weiße Kukulle des Zisterzienserordens in Morimond und bald wurde er Abt des Stiftes in Villars in Lothringen.
Graf Bernhard und Gräfin Kunigunde von Spanheim aber wollten zum Andenken an ihren Neffen ein Kloster in Kärnten errichten und baten Heinrich, ihnen einige Ordensbrüder zu senden. 1142 kamen mehrere Zisterzienser von Lothringen und richteten das Stift Sancta Maria de Victoria (Heilige Maria vom Siege) ein, aus welchem Namen später Viktring wurde.
Franz Pehr, „Kärntner Sagen”, Klagenfurt 1913